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Ist Vertical Farming die Zukunft der Landwirtschaft?

Autor:in Nicole Feger

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Regional, saisonal, fleischlos oder Bio? Und am besten auch noch ohne Plastikverpackung. Immer mehr Konsument:innen versuchen, nachhaltiger einzukaufen. Zurecht, denn der Lebensmittelsektor spielt eine entscheidende Rolle beim Klimawandel. Die Produktion und der Transport von tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln sind für etwas 25% der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Außerdem werden dabei Unmengen an Land und Wasser verbraucht.[1] Allein in Deutschland wird circa die halbe Fläche des Landes für die Landwirtschaft genutzt. Hinzu kommt der Einsatz von Pestiziden und oftmals eine Überdüngung des Bodens - mit gravierenden Folgen.[2] Die konventionelle Landwirtschaft macht ihre eigenen Grundlagen in Zukunft unbrauchbar, indem Böden verunreinigt werden, austrocknen, oder durch Monokulturen unbewirtschaftbar werden. Die nutzbare Fläche für Landwirtschaft wird somit immer kleiner. Gleichzeitig müssen Landwirt:innen aufgrund von extremen Wetterlagen, wie Dürren oder Überflutungen, mit Ernteausfällen rechnen, während die Gesamtbevölkerung weiter wächst und mit Lebensmitteln versorgt werden möchte.[3]

Wie kann also möglichst nachhaltig garantiert werden, dass im Jahr 2050 die prognostizierten 9,7 Milliarden Menschen unserer Erde mit ausreichend Lebensmitteln versorgt werden? Das sind immerhin etwa zwei Milliarden Menschen mehr als jetzt, die außerdem größtenteils in großen Städten wohnen werden.[4] Diese urbanen Ballungszentren müssen möglichst platzsparend mit Lebensmittel beliefert werden, sodass zum Beispiel in Zukunft keine Wälder mehr gerodet werden müssen, um zusätzliche landwirtschaftliche Fläche zu generieren.

Wie sieht also die Zukunft der Landwirtschaft aus? Wissenschaftler:innen tüfteln bereits an spannenden Innovationen, wie zum Beispiel dem vertical farming – was schon längst in einigen Supermärkten Realität geworden ist.

Was ist vertical Farming?

Eine Möglichkeit, um beim Anbau von Lebensmitteln Platz zu sparen, ist das vertical farming, auch vertikale Landwirtschaft genannt. Es handelt sich dabei um „ein landwirtschaftliches Konzept, bei dem die Produktion in Hochhäusern (vertikal) stattfindet, um urbanen Raum nachhaltig landwirtschaftlich zu nutzten“.[5] Dadurch können Lebensmittel zum Beispiel direkt in der Stadt produziert werden, anstatt nur auf dem Land. Denn wie der Name bereits verrät, wird Nahrung bei diesem Verfahren platzsparend in Etagen übereinander angebaut.[6] Erfolgt dies im Gewächshaus komplett ohne Sonnenlicht wird auch von Indoor Farming gesprochen. [7]

Durch Sensortechnik verspricht das vertical farming nicht nur einen platzsparenden Anbau, sondern vor allem eine kontrollierte und damit ressourcensparende Landwirtschaft. Oftmals werden erdlose Methoden verwendet, bei denen die Pflanzen durch in Wasser gelöste Nährstoffe versorgt werden. Durch diese optimale Zufuhr von Wasser und Nährstoffen sind vertikale Farmen besonders effizient: Sie versprechen schnelleres Wachstum und damit höhere Erträge auf derselben Flächeneinheit.[8] Mittlerweile gibt es verschiedenste Formen von vertikalen Farmen – vom Lagerhaus über mobile Farmen bis zu häuslichem Anbau ist alles dabei. Im nächsten Abschnitt sind einige Formen von vertikaler Landwirtschaft kurz erklärt.

Welche Formen von vertical farming gibt es?

  • Plant factory with artificial lighting (PFAL) sind lagerhausähnliche Farmen, die mit künstlicher Beleuchtung betrieben werden. Durch Wärmeisolierung werden günstige Bedingungen geschaffen und oft auch einige weitere Umweltfaktoren kontrolliert.

  • Controlled Environment Agriculture (CEA) beschreibt den Anbau von Lebensmitteln unter Kontrolle aller Umweltfaktoren, einschließlich Licht, CO2, Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Diese werden dabei automatisch angepasst, sodass ganzjährig optimale Wachstumsbedingungen geschaffen werden.

  • Eine Container Farm ist sozusagen die mobile Version des vertical farmings. Nahrungsmittel können beispielsweise in Schiffscontainern angebaut und somit noch während des Wachstumsprozess transportiert werden.

  • Rotierende Gewächshäuser umgehen den Bedarf von künstlicher Beleuchtung. Da jedoch die vertikale Anordnung nicht jeder Etage optimale Lichtverhältnisse bieten kann, musste eine andere Lösung her: ein rotierendes System sorgt dafür, dass auch untere Pflanzenbestände regelmäßig genug Sonne abbekommen.

  • In-Store-Farms befinden sich wie der Name sagt direkt am Ort des Konsums. Mit Hilfe von künstlich ausgeleuchteten Schränken können zum Beispiel Kräuter oder Blattgemüse im Supermarkt oder in Restaurants wachsen.

  • Plantcubes oder Smart Garden sind vertikale Indoor-Gärten für Endverbraucher. Durch kleine vertikale Farmen können zu Hause oder in Büros eigene Lebensmittel wie Kräuter, Blattgemüse und kleine Früchte angebaut werden. Module können platzsparend an der Wand befestigt werden und Lebensmittel werden dabei oft erdlos angebaut.

Beispiele von vertikalen Farmen

Die vertikale Farm ist längst keine Zukunftsmusik mehr. Auch in Berlin gibt es bereits mehrere Betreiber. Das deutsche Unternehmen Infarm stellt Supermärkten wie Rewe und Edeka ihre In-Store-Farms zur Verfügung. Dadurch können Verbraucher Lebensmittel wie Kräuter, Blattgemüse oder Pilze lebendig – sprich mit Wurzeln – kaufen, wodurch Infarm längere Haltbarkeit verspricht. Aufgrund der optimierten Bedingungen verbraucht der Lebensmittelanbau laut Infarm rund 95% weniger Wasser im Vergleich zu traditioneller Landwirtschaft und reduziert die benötigte Bodenfläche ebenfalls um 95%.[9]

Auch in Asien oder Dubai ist vertical farming auf dem Vormarsch. Zurzeit müssen zum Beispiel dicht besiedelte Städte wie Singapur rund 90% der Nahrung importieren, wodurch eine große Abhängigkeit gegenüber Lebensmittellieferungen entsteht. Bis 2030 will Singapur 30% des benötigten Volumens selbst produzieren - durch vertikale Farmen auf Hausdächern, an Wänden und in Lagerhallen.[10] Auch für trockene Regionen ist vertical farming eine interessante Alternative, da vor allem der Wasserverbrauch enorm verringert wird.

Vorteile und Hindernisse: Ist vertical farming nachhaltig?

Zu Zeit werben einige vertical farms damit, im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft besonders nachhaltig zu sein. Doch ist das wirklich so? Auf den ersten Blick scheint die vertikale Landwirtschaft durchaus eine nachhaltige Alternative dazustellen. Sieht man jedoch genauer hin, wird deutlich, dass vor der Zukunftsfähigkeit des vertical farmings noch ein langer Weg liegt.

Vorteile vertikaler Landwirtschaft

Wie bereits angerissen, bringt die vertikale Landwirtschaft mehrere Vorteile mit sich. Vertikale Farmen können deutlich sparsamer mit Ressourcen umgehen, so zum Beispiel mit Wasser. In den geschlossenen Räumen kann Wasser, welches von der Pflanze nicht benötigt und deshalb an die Umgebung abgegeben wird, zurückgewonnen werden. Durch erneute Zuführung in das Bewässerungssystem entsteht somit ein effizienter Kreislauf.[11]

Durch den verminderten Wasserverbrauch eignet sich die vertikale Landwirtschaft vor allem für trockene Regionen. Diese können durch solche Anbauverfahren deutlich unabhängiger von Lebensmittellieferungen werden. Mit Blick auf die Erderwärmung könnte dies in Zukunft für immer mehr Gebiete eine bedeutende Rolle spielen.

Da Lebensmittel durch vertical farming besonders platzsparend in Etagen angebaut werden und meist keine Erde benötigt wird, wird eine urbane Landwirtschaft möglich, zum Beispiel in Lagerhäusern, auf Dächern usw. Zum einen müssten somit in Zukunft keine Wälder mehr gerodet werden, um als landwirtschaftliche Fläche genutzt zu werden. Zum anderen schafft der Anbau innerhalb der Städte Nähe zum Verbraucher, wodurch Transportkosten, Emissionen und Zeit eingespart werden können.[12] Hinzu kommt, dass die Haltbarkeit von einigen Lebensmittel durch den „lebendigen“ Verkauf, zum Beispiel durch In-Store-Farming, verlängert wird. Dies könnte zu weniger Lebensmittelabfall durch verdorbene Produkte führen.

Durch den Anbau von Lebensmitteln in geschlossenen Räumen können Umwelteinflüsse viel besser reguliert und die Produkte besser geschützt werden. Dadurch ist die vertikale Landwirtschaft nicht nur wetterunabhängig und deshalb besser planbar, sondern kommt auch ohne Pestizide aus. Bei konventionellem Anbau im Freien gelangen diese hingegen oft nicht nur in unsere Lebensmittel, sondern auch in den Boden und ins Grundwasser.

Dank temperaturregulierbaren Räumen können außerdem Bedingungen für einen ganzjährigen Anbau geschaffen werden.[13] Dies schafft Möglichkeiten, regionale Landwirtschaft weiter auszubauen. In Zukunft könnten also Produkte, die ansonsten nicht regional oder nur saisonal in Deutschland produziert werden, ganzjährig zur Verfügung stehen – ganz ohne Import und den damit verbundenen Emissionen.

Nachteile vertikaler Landwirtschaft

Bevor vertical farming der Normalzustand wird, müssen jedoch noch einige Hindernisse überwunden werden. Denn leider ist vertikale Landwirtschaft noch nicht für alle Lebensmittel geeignet. Bisher können hauptsächlich kohlenhydratarme Pflanzen, wie Kräuter, Pilze, Erdbeeren und Blattgemüse angebaut werden. Das benötigte Lebensmittel-Volumen für die gesamte Weltbevölkerung kann rein dadurch also nicht sichergestellt werden – zumindest nicht in naher Zukunft. Deshalb wird davon ausgegangen, das vertical farming eher als eine Ergänzung zur konventionellen Landwirtschaft dient, anstatt diese komplett abzulösen.[14] Außerdem steht bisher der Kostenfaktor und ein Mangel an ausgebildeten Fachkräften den potenziellen Vorteilen gegenüber.

Für den menschlichen Körper sind Lebensmittel aus vertikalen Farmen bisher nicht die gesündeste Alternative. Denn durch den Anbau ohne Erde fehlen teils wichtige Mikroorganismen für den Darm, die sonst von den Pflanzen über den Boden aufgenommen werden. Diese müssen deshalb künstlich zugesetzt werden. Für viele Verbraucher:innen fehlt es daher an Natürlichkeit.[15]

Die größte Hürde ist jedoch der hohe Energieverbrauch, denn das Sonnenlicht muss mit Hilfe von künstlich erzeugtem Licht ersetzt werden. Durch den Einsatz von LEDs entsteht außerdem ungewollte Wärme, weshalb die Räume oft noch zusätzlich gekühlt werden müssen. Die Folge ist ein sehr hoher Stromverbrauch, der die Umweltbilanz von vertical farming deutlich in den Abgrund stürzt – außer natürlich diese Energie wird durch regenerierbare Ressourcen erzeugt. Um den Flächenbedarf hierfür zu decken (Solarzellen, Windkraft), wird wiederum unter Umständen mehr Platz benötigt als für die konventionelle Landwirtschaft selbst.[16] Bis dieses Problem gelöst ist, macht ein hohes Anbauvolumen auf geringer Fläche aus einer Nachhaltigkeitsperspektive also nur bedingt Sinn.

Fazit: Natürlich, nachhaltig oder beides?

Denken wir an nachhaltige Landwirtschaft, assoziieren wir damit automatisch den Bio-Landwirt von nebenan, der sein Obst und Gemüse regional, saisonal und im besten Fall ohne Pestizide vertreibt. Zukunftsperspektivisch betrachtet bleibt das Problem hier leider unter anderem die benötigte Fläche und die Distanz zu Endverbraucher:innen. Vertical farming bietet in diesen Hinsichten klare Vorteile.

Für viele ist der Gedanke, Obst und Gemüse aus der Lagerhalle zu konsumieren dennoch noch immer befremdlich. Denn dem Anbau ohne Erde, ohne natürliches Licht und ohne frische Luft fehlt eine gewisse Natürlichkeit. Ist die natürliche Alternative also immer automatisch die nachhaltigste?

Hier muss selbstverständlich klar zwischen konventioneller Landwirtschaft unter Einsatz von Monokulturen, Pestiziden und zu viel Dünger und ökologischem Anbau unterschieden werden. Trotzdem könnte vertical farming in Zukunft eine nachhaltigere Alternative sein, um den Bedarf an Lebensmitteln unter möglichst wenig Gebrauch von Ressourcen effizient zu gestalten. Aufgrund des bereits spürbaren Klimawandels könnte dieser Weg sogar leider bald unverzichtbar werden.

Stand heute können vertikale Farmen die konventionelle Landwirtschaft noch nicht ersetzen, sondern höchstens ergänzen, unter anderem aufgrund des hohen Energieverbrauchs, welcher nicht außer Acht gelassen werden sollte. Trotzdem ist es eine Idee mit viel Potenzial, mit der sich Verbraucher:innen in nicht allzu ferner Zukunft anfreunden sollten. Denn wird der Klimawandel nicht zumindest verlangsamt und damit weitere Wetterextreme verhindert, könnte es bald nicht mehr möglich sein, auf rein „natürliche“ Weise genügend Lebensmittel für die Erdbevölkerung herzustellen.

  • [1] https://www.mckinsey.com/industries/retail/our-insights/the-path-forward-for-sustainability-in-european-grocery-retail

  • [2] https://www.deutschlandfunk.de/vertical-farming-als-klimafreundliche-alternative-100.html

  • [3] https://www.nationalgeographic.de/umwelt/2022/02/vertical-farming-high-tech-gemuese-aus-der-grossstadt

  • [4] https://www.landwirtschaft.de/landwirtschaft-erleben/landwirtschaft-hautnah/in-der-stadt/vertical-farming-landwirtschaft-in-der-senkrechten

  • [5] https://www.pflanzenforschung.de/de/pflanzenwissen/lexikon-a-z/vertical-farming-10036

  • [6] https://www.landwirtschaft.de/landwirtschaft-erleben/landwirtschaft-hautnah/in-der-stadt/vertical-farming-landwirtschaft-in-der-senkrechten

  • [7] https://www.hswt.de/forschung/news/article/expertin-der-hswt-beantwortet-haeufig-gestellte-fragen-zum-thema-vertical-farming-bzw-indoor-farming.html

  • [8] https://www.pflanzenfabrik.de/vertical-farming-ueberblick/

  • [9] https://www.infarm.com/sowing-the-seeds-for-a-better-food-system-infarm-publishes-its-sustainability-vision-for-the-future-of-food/#Die-Saat

  • [10] https://www.nationalgeographic.de/umwelt/2022/02/vertical-farming-high-tech-gemuese-aus-der-grossstadt

  • [11] https://www.hswt.de/forschung/news/article/expertin-der-hswt-beantwortet-haeufig-gestellte-fragen-zum-thema-vertical-farming-bzw-indoor-farming.html

  • [12] https://www.pflanzenforschung.de/de/pflanzenwissen/lexikon-a-z/vertical-farming-10036

  • [13] https://www.deutschlandfunk.de/vertical-farming-als-klimafreundliche-alternative-100.html

  • [14] https://www.nationalgeographic.de/umwelt/2022/02/vertical-farming-high-tech-gemuese-aus-der-grossstadt

  • [15] https://www.landwirtschaft.de/landwirtschaft-erleben/landwirtschaft-hautnah/in-der-stadt/vertical-farming-landwirtschaft-in-der-senkrechten

  • [16] https://www.deutschlandfunk.de/vertical-farming-als-klimafreundliche-alternative-100.html

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